Usedomer Literaturtage – Geschichte und Geschichten. Literarische Spurensuche in der Mitte Europas

Villa Irmgard Heringsdorf
Villa Irmgard Heringsdorf

Wer sich in diesem Jahr bei der Verleihung des Usedomer Literaturpreises freuen wird, ist noch nicht bekannt. Fest steht jedenfalls, dass dieser Preis nicht nur mit fünftausend Euro dotiert ist, sondern auch einen vierwöchentlicher Aufenthalt im Romantikhotel Ahlbecker Hof beinhaltet, der nach Angaben der Veranstalter die literarische Tradition auf der Insel Usedom fortführen soll. Viele bekannte Literaten wie Maxim Gorki, Thomas Mann oder Theodor Fontane weilten seinerzeit hier und schufen dabei große Literatur. Die letzten beiden Preisträgerinnen waren die Autorin Radka Denemarková und die Übersetzerin Eva Profousová, man darf also gespannt sein, für wen sich die Jury, der unter anderem Prof. Dr. Hellmuth Karasek, Dr. Andreas Kossert und der Direktorin des Deutschen Kulturforums östliches Europa Dr. Doris Lemmermeier angehören, in diesem Jahr entscheiden werden. Bis zur Preisverleihung muss man sich aber noch gedulden, denn diese wird erst am letzten Tag der diesjährigen Usedomer Literaturtage stattfinden.

Nachdem im letzten Jahr Rumänien und seine Literatur den Schwerpunkt der Veranstaltungen bildete, heißt das Thema nun Geschichte und Geschichten. Literarische Spurensuche in der Mitte Europas. Dass sich die diesjährigen Usedomer Literaturtage hauptsächlich mit Polen und den ehemals deutschen Ostgebieten beschäftigen wird, merkt man schon an der Eröffnungsveranstaltung bei der Tatjana Gräfin Dönhoff und Arno Surminski aus ihren Büchern lesen werden, die das Thema Flucht und Vertreibung beinhalten. Während sich Tatjana Gräfin Dönhoff in ihrem Roman Die Flucht mit der Geschichte ihrer Familie auseinandersetzt, die wie viele Millionen Menschen aus Ostpreußen in Richtung Westen fliehen musse, beschäftigt sich Arno Surminski in seinem Roman Winter Fünfundvierzig mit den Frauen von Palmnicken. Auch im Centrala in Swinemünde werden in diesem Jahr mehrere Veranstaltungen sein. Den Anfang macht eine sogenannte Nachtlesung mit Tomasz Rózycki und Piotr Ciechowski, bei der der Roman Zwölf Stationen von Tomasz Rózycki im Mittelpunkt stehen wird. In diesem beschäftigt er sich mit der Vertreibung der Polen aus den Gebieten, die heutzutage zur Ukraine gehören. Dieser Roman wurde auch im Theater von Oppeln inszeniert, von deren Aufführung einige filmische Aufnahmen zu sehen sein werden.

Nicht nur Literatur, sondern auch Fotografie, genauergesagt die Ausstellung Struktur und Architektur. Das postindustrielle Kulturerbe Oberschlesiens mit Fotografien von Thomas Voßbeck in der Villa Irmgard im Ostseebad Heringsdorf entführt die Besucher in eine Welt, die langsam von der Oberfläche verschwindet, da die Industriearchitektur der Region, die zahlreiche Autoren zu Werken inspirierte wie beispielsweise Wojciech Kuczok, mehr und mehr der Abrissbirne zum Opfer fällt. Der jüdische Musiker und Begründer Kraków Klezmer-Festivals Leopold Kozlowski ist auch als der letzte Klezmer Galiziens bekannt, ein Grund für seinen guten Freund Jacek Cygan mit ihm einen Dokumentarfilm zu drehen, der sein bewegtes Leben für die Nachwelt dokumentiert. Bei der Lesung im Usedom Palace Hotel Zinnowitz wird man daher neben Filmausschnitten natürlich auch Klezmermusik zu hören bekommen. Auf den Spuren Hans Werner Richters begibt man sich mit Martin Bartels und einigen Schauspielern der in Zinnowitz beheimateten Theaterakademie Vorpommern, bei der man nicht nur Orte auf der Insel zu sehen, sondern auch Texte und Gedichte von Schriftstellern vorgestellt bekommt.

Verspielte Jahre heißt es am Freitag im Hotel Maritim Heringsdorf, wenn Laura und Hellmuth Karasek zu ihrer Lesung laden. Verspielte Jahre lautet der Titel des ersten Romans von Laura Karasek, indem sie sich mit Möglichkeiten und Chancen beschäftig. Autobiographischer ist die Biografie von Hellmuth Karasek, der nicht nur Jurymitglied des Usedomer Literaturpreises, sondern auch als Kind mit seiner Familie auf der Flucht war. Als Stummfilmstar war Pola Negri seinerzeit weltbekannt, als Sprössling einer Romafamilie hatte sie in den 30ér Jahren in Deutschland keine Zukunft mehr. Mit ihrem Schicksal beschäftigte sich die Autorin Daniela Dröscher ausführlich und setzte ihr mit ihrem Roman Pola ein literarisches Andenken. Im Steigenberger Grandhotel and Spa Heringsdorf gibt es ein Wiedersehen mit Manfred Osten, der wie schon im Jahr zuvor ein Gespräch mit Alfred Brendel führen wird. Die letzte Veranstaltung vor der Verleihung des Usedomer Literaturpreis wird die Lesung Familienarchäologie. Den Legenden der Väter auf der Spur im Schloss Stolpe sein, bei der Kolja Mensing und Anna Kaleri ihre Bücher vorstellen, in der sie sich mit Familiengeschichten beschäftigen. Während Kolja Mensing in seinem Roman Die Legenden der Väter die Geschichte seines Großvaters beleuchtet, ist die Handlung von Anna Kaleris Roman Der Himmel fiktiv, sie beruht aber auf zahlreichen Erzählungen von in den Masuren beheimateten Leuten.